Die Erbsünde

Nur wenige Christen können sich unter dem Begriff „Erbsünde“ etwas vorstellen. Paulus schreibt, dass durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen sei. Mit ihr der Tod (Rö 5,12). Darin, dass alle Menschen, die geboren werden, sterblich sind, besteht die Erbsünde.

Wenn wir nun das Wesen dieser Erbsünde genauer betrachten wollen, müssen wir uns den Sündenfall selbst ansehen. Da ist der Mensch durch den Leib zwar Geschöpf, aber ein Geschöpf, das noch ganz gottzentriert lebt. Durch einen Erkenntnisprozess, den die Bibel mit der Namensgebung der Tiere anzeigt, erkennt sich schließlich der Mensch in seiner Leiblichkeit. Adam erkennt sich in seinem Gegenüber, der Eva, und spricht: „Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch.“ (1. Mo 2, 23). Jetzt also hat der Mensch sich selbst, freilich nur als Leiblichkeit, gefunden. Er steht nun als ein Persönlichkeitszentrum Gott gegenüber! Doch immer noch nicht ist sein Erkenntnistrieb, der sich ihm nun im Bild der Schlange zeigt, gestillt. Er geht, da weitere Objekte der Erkenntnis fehlen, ins Leere… Und da macht der Mensch die Erfahrung des Todes (1. Mo 2, 20-1. Mo 3, 9).

Denn was ist der Tod? Es ist die Vorstellung, dass etwas ins Leere, ins Nichtige, in eine Vernichtung heineinlaufen könnte. Die Reaktion darauf ist Furcht (1. Mo 3, 9).

Eine Leere, ein Nichtsein gibt es aber nicht in Gott (dem Sein, dem Lebendigen). Einen Tod gibt es also nicht wirklich, sondern nur als Illusion! Doch einer Illusion kann und muss man solange erliegen, solange man sie nicht durchschaut. Eine am Leben gehaltene Illusion ist aber auch wirksam. Sie führt vom Geist des Menschen, wo sie ihren Sitz hat, dazu, dass der menschliche Geist als Herrscher über Seele und Leib, in diesen untergeordneten Gliedern Unordnung, Zerstörung anrichtet. Diese zeigt sich in unseren Ängsten, in unserer Aggressivität, den zahlreichen seelischen und leiblichen Erkrankungen und schließlich im physischen Tod.

Menschen, die geboren werden, unterliegen dadurch, dass sie sich mit dem physischen Körper identifizieren, durch diese Identifizierung automatisch  der Illusion von Sterblichkeit. Das ist die Erbsünde.

 

 

6 Gedanken zu “Die Erbsünde

  1. An dieser Betrachtungsweise finde ich gut, dass es weniger um eine vererbte Ursünde, um Schuld oder um eine von außen kommende teuflische Verführung geht. Das kirchliche Erbsünde-Dogma kommt recht plump daher…. Ich bin auch der Meinung, dass damit vielmehr ein tatsächlicher Zustand der Unwissenheit beschrieben wird, der durch spirituelle Erkenntnis wieder aufgehoben werden kann. So wie Paulus sagt: „Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.“ (1 Kor 15,22), oder die Vision Jesu in der Johannes-Offenbarung: „Wer siegt, dem werde ich zu essen geben vom Baum des Lebens, der im Paradies Gottes steht.“ (Offb 2,7). Der Fokus liegt nicht auf Schuld, sondern auf der jedem Menschen möglichen Rückbindung zum Göttlichen.

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  2. Noch etwas… 😉 Mir ist aufgefallen, dass Du in den vorigen Artikeln häufig geistige Trägheit kritisiert hast. Es wäre also durchaus plausibel, eben unsere Trägheit… zumindest als „Ursünde“ zu bezeichnen – ist sie es doch, die uns vom Fortschreiten abhält, wenn die nach unten ziehenden Kräfte größer sind als die nach oben strebenden, und die Trägheit dem Drang zu wachsen entgegensteht und den Menschen dazu führt, im Unbewussten zu verharren.

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  3. Ich finde den Gedanken auch sehr interessant, auch deine Ergänzungen eddy tragen zu einem Gesamtbild gut bei.

    Ich würde bei der Erbesünde noch eine weitere Idee in den Raum werfen wollen, die sich vielleicht mit dem hier beschriebenen Gedanken gut verbinden lässt?!

    Wolfgang Schreiner in seinem Buch „Evolutionstheologie“ beschreibt recht anschaulich, wie der Mensch, als erstes Wesen das sich selbst und seines Wertes bewusst wird, die evolutionäre Entstehungsweise des Lebens (zufällige Mutation und anschließende Selektion – Überleben des Stärkeren) aus moralisch-ethischen Gründen zu kritisieren beginnt. Evolution konnte „man“ bis dahin vielleicht als „gut“ bezeichnen (immerhin hat sie zu immer komplexeren Lebensformen geführt bis hin zu einem sich selbst bewussten Menschen), aber mit welchen Folgen?

    Wie wir heute wissen, sind viele Verhaltensweisen nicht ausschließlich auf den „freien Willen“ des Menschen zurückzuführen, sondern eben auch zu einem großen Teil auf seine Entstehungsgeschichte. In einem Mechanismus „gefangen“, in dem man sich behaupten und gegen andere durchsetzen muss, ist es kein Wunder dass Ellenbogen-Mentatlität, Mord, Diebstahl, Neid und andere Verhaltensweisen / Charaktereigenschaften sich durchgesetzt haben (das Gegenstück bildet das in der Evolutionstheorie auch gut untersuchte Prinzip der „Kooperation“, welches durchaus auch zu positiven Entwicklungen geführt haben soll).
    Diese Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften waren nicht nur geduldet, sondern sogar überlegen, bis der Mensch durch immer weitere Erkentnisse und Erfahrungen zu einem ethisch-moralischen Wertesystem gelangte, das genau diese Prinzipien verurteilte.

    Wir verurteilen zurecht die sozialdarwinistischen Schlüsse des dritten Reichs. Wir verurteilen zurecht Rassismus, Homophobie und andere Formen der Diskriminierung. Gerade im Gegenteil setzen wir uns ein für eine gerechte Zivilisation, ein harmonisches Miteinander und eine soziale Politik. Der Mensch ist das erste Wesen, das sich gegen seine Entstehungsgeschichte entscheiden kann und genau diese Mechanismen, die uns überhaupt erst zu dem gemacht haben was wir heute zu einem gewissen Teil sind, verurteilt, ja sogar gegen sie ankämpft. Bereits Paulus wusste, dass der Wille zwar stark, aber das Fleisch schwach ist und er bezeichnete diese Situation als Kampf zwischen Gut und Böse IN UNS.

    Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.
    Römer 7, Vers 19

    In diesem Sinne kann die Erbsünde auch als Erblast verstanden werden, die wir zunächst ablegen müssen um wahrhaftig zu lernen was es bedeutet Mensch zu sein. Wir müssen zunächst die evolutionär erlernten Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften (Kampf, Neid, Egoismus, Stolz) „entlernen“, um zur wahren Gotteserkenntnis zu gelangen. Nicht zuletzt bezeugt ja auch Jesus dass sein Reicht nicht „von dieser Welt“ ist, also eben NICHT nach den Prinzipien dieser Welt funktioniert.

    Sünde unterscheidet sich in dieser Intepretation in die zwei Aspekte:
    1. Das traditionalle Sündenverständnis im Sinne einer willentlichen bewussten Handlung
    2. Dem gleichgültigen Verharren in den evolutionär erlernten Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften

    Die Einteilung inwiefern ein Verhalten „erlernt“ und wann der freie Wille einsetzt ist schwierig, fließend und steht uns eigentlich gar nicht zu. Hat nicht auch das was wir freien Willen nennen seine Gründe? Und muss ein Mensch nicht viel mehr bei seinen Motiven und Motivationen ansetzen um seine „freien Entscheidungen“ der Zukunft zu beeinflussen? Ich denke schon…

    Nichtsdestotrotz könnte das gleichgültige Verharren in den evolutionär erlernten Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften als genau diese geistige Trägheit bezeichnet werden, von denen ihr beiden sprecht. Und genau diese Trägheit ist es, die uns im unvollkommenen Status Quo festhält. Und genau hier liegt auch das Dilemma der Christenheit, in dem sie ihre eigene Entstehungsgeschichte leugnet, selbst nicht wahr haben will wie sehr ihre Interpretationen und Überzeugungen beeinflusst sind von ihrem „sündhaften“ Erbgut und partout nicht abrücken will von ethisch-moralisch überholten Überzeugungen. Geistlicher Aufbruch ist hier das Stichwort, das uns zu neuer Vollkommenheit und neuem Leben führen kann, einem Leben in Christus der eben nicht „von dieser Welt“, aber „in dieser Welt“ ist.

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