Das Himmelreich ist in Dir

Jesu Reden handelten vom Himmelreich, das „nahe herbei gekommen“ sei (Mt. 4,17) und dessen Wesen er in zahlreichen Gleichnissen erläuterte. Das Himmelreich ist kein äußeres Reich, das von Raum und Zeit abhängt, sondern ein inneres Reich, das auf der Gegenwart Gottes beruht. Das machte Jesus gegenüber den Pharisäern deutlich, die darunter eine äußere Herrschaft verstanden: „Gottes Reich kann man nicht sehen wie ein irdisches Reich. Niemand wird sagen können: ›Hier ist es!‹ oder ›Dort ist es!‹ Denn Gottes Reich ist schon jetzt da – mitten unter euch.“ (Lk. 17,20; HfA)

Und so ist es kein Wunder, dass es auch einige Menschen gab und gibt, die dieses Reich „geschmeckt“ haben. Es sind das die wahren Christen , die sogenannten Mystiker! Gerhard Tersteegen (1697-1769) hielt es gegenüber dem veräußerlichten Christentum für nötig, zu betonen, dass mystisches Leben nichts Neues sei, sondern „das christliche Leben in seiner Schönheit und eigentlichen Gestalt“.

Des Mystikers Sinn ist treffend in Ps. 73, 25 mit den Worten „Wenn ich nur dich habe, so frage ich nicht nach Himmel und Erde“ ausgedrückt. So äußerte Katharina von Genua (1447-1510), „ Ich empfinde eine solche Liebe zu Gott, dass alle Liebe zum Nächsten mir im Vergleich zu jener zu Gott als eine Heuchelei erscheint“. Oder Mme. Guyon (1648-1717) : „Ich liebte Gott mehr als der leidenschaftlichste Liebhaber seine Geliebte… Diese Liebe war so beständig und beschäftigte mich so unablässig und so mächtig, dass ich an nichts anderes zu denken vermochte.“

Auch in unserer heutigen Zeit machen Menschen solche Erfahrungen. Während bei den Genannten die leidenschaftliche Hinwendung zu Gott alles andere verzehrt hatte, ist es bei den folgenden, heutigen Beispielen, die zeitweilige Loslösung von allem Irdischen in der Meditation.

Während der Meditation durchzogen mich so ungeheuer starke elektrische Ströme, dass mein ganzer Körper in Wonne eingetaucht zu sein schien. In Tränen aufgelöst schien ich nicht mehr derselbe zu sein mit dem allzubekannten, begrenzten Ich-Verständnis.” Eine andere Person empfindet im Zustand der Losgelöstheit „eine Liebe, die man, da sie ohne Objekt ist, am besten ‚Liebevollheit‘ nennen kann. Ja, sie ist umso vollkommener sie selbst, wenn sie ohne Objekt ist.“ Das bestätigen zwei nicht voneinander beeinflusste Lehrer aus ihrer persönlichen Erfahrung. „Wahre Loslösung ist eine Liebe selber ohne Objekt und Subjekt.“ Der andere: „Liebe ist keine Beziehung zwischen zwei Personen. Sie ist ein Gemütszustand. Bist du liebevoll, bist du es zu jedermann.“

Der Zustand der Losgelöstheit ist der Zustand der Einheit mit Gott. Deshalb auch diese Seligkeit und bedingungslose Liebe. So konnte auch Tersteegen sprechen, „Ich hab’s erlangt, was ich begehr‘, Mein Beten ist Genießen.“ Doch nur mittels persönlich geübter Disziplin erlangt man die Herrlichkeit des göttlichen Lebens. Angelus Silesius (1624-1677) ruft deshalb die trägen Christen auf,

Ach Fauler, reg dich doch, wie bleibst du immer liegen!

Fürwahr der Himmel wird dir nicht ins Maul reinfliegen!“

Mit Recht heißt es schließlich: „Doch wer im Himmel seines Innern wohnt, zufrieden mit sich selbst, begierdenlos, der ist erhaben über alles Wirken. Er wirkt nicht selbst; für ihn ist nichts zu tun.“ (Bhagavadgita III,17) Oder wie es die Offb. 14,13 sagt: „Glückselig die Toten [d.h. die Sünder, s. Eph. 2,1], die von jetzt an im Herrn sterben! [d.h. in das Ewige hinein] Ja, spricht der Geist, damit sie ruhen von ihren Mühen, denn ihre Werke folgen ihnen nach. [d.h. sie gehen aus der Einheit Gottes mit dem Menschen mühelos hervor].“

5 Gedanken zu “Das Himmelreich ist in Dir

  1. Danke für Deinen Beitrag-Gruß, lieber Manfred, Dieses Thema ist wichtig und nötig. Die Antwort darauf lautet: Christus in uns – anwesend – aktiv – alles seiend – alles wirkend – im Heiligen Geist. Sei brüderlich gegrüßt, Herbert

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  2. Was genau bedeutet „in“? Dieser Frage bin ich diesen Winter (leider überwiegend theoretisch 😉 nachgegangen.
    Natürlich ist das was sich auch in den Zitaten der Mystiker andeutet, nichts Eingrenzbares. Dennoch befinden wir uns innerhalb der Grenzen unseres Körpers. Wo „darin“ findet sich also dieses Königtum Gottes? – Bei den Ikonen und Statuen von Jesus und Maria ist auffällig, dass deren Herz meist in der Brustmitte abgebildet wird. Dies ist jedoch keine künstlerische Symmetrie, oder rein symbolisch für die Barmherzigkeit Gottes zu verstehen! Dieses Herz in der Brustmitte ist eine spürbare Realität für jeden Menschen. Oberflächlich ist es das emotionale Zentrum, doch tiefer findet sich dort das spirituelle Herz. Im Christentum ist es die traditionelle Herz-Jesu-Anbetung, die speziell auf diese Körperstelle abzielt, mit der Gebetsmaxime: „Bilde unser Herz nach Deinem Herzen“. Wenn man jedoch die indische Weisheitsliteratur zu Rate zieht, dann öffnet sich in Bezug auf diese Körperstelle eine vielschichtige Lokalisierung. Ihr wird der Sitz des Willens, der Liebe, der psychischen Energie, und sogar der Seele zugeschrieben. Das bedeutet übertragen auf das oberste Gebot (man soll Gott lieben mit ganzem Herzen, Seele, Denken und Kraft), dass all diese auf das spirituelle Herz verweisen. Letztendlich befindet sich dort laut indischer Psychologie eine „Tür“, die sich einem spirituell weit fortgeschrittenen Aspiranten öffnet in den kollektiven Bewusstseinsraum, der mit dem unbegrenzten Reich Gottes gleichgesetzt werden kann.
    Ausgearbeitet findet sich diese „Lokalisierung“ des Reich Gottes in dieser Zusammenstellung: http://www.kleine-spirituelle-seite.de/files/template/pdf/das_spirituelle_herz.pdf

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    1. Das Herz gilt als Zentrum des Menschen. Aber gemeint mit „in“ heißt vor allem, es ist nicht da oder dort, sondern es ist ein Akt des Erkennens und Verwirklichens dessen, was die Seele tatsächlich ist: unsterblich, göttlich – also Eins mit dem Vater. Sie ist der „Christus in uns“.

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  3. Wohl wahr,
    die Materie ist nur Beiwerk, Mittel zum Zweck für den nächsten „Lernschritt“.
    Was hälst du von dem Aspekt, daß der Frieden ein weiteres, essentielles und mit der Liebe verwebter Bestandteil des „Reiches“ ist?
    In meiner Profanität umschreibe ich den Frieden mit den flapsigen Worten:
    Das nicht-mehr-Müssen-müssen

    Ergo wünsche ich einen fried- und liebevollen Sonntag,
    Raffa.

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    1. Ja, natürlich. Der Friede ist eigentlich die Grundlage für die Liebe, denn Friede bedeutet: ich werde nicht angegriffen, nicht bedroht. Weil das so ist, ist Liebe der Ausdruck des freien Verhältnisses, das man zu ALLEM hat bzw. der Wesensausdruck des Ewigen, das alles umfasst. Ruhe, Frieden, Freiheit, Liebe – das gehört alles zusammen.

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