Ich bin eine Eisscholle,

aber in Wahrheit der Ozean, auf dem sie schwimmt. Was will ich mit diesem Gleichnis sagen? Eine Eisscholle ist nichts anderes als gefrorenes Wasser, aber sie ist im Gegensatz zu ihm fest, hat eine bestimmte Kontur, eckt an andere Eisschollen an, wird auch durch sie in eine andere Position gedrängt, wie sie das mit den ihr Begegnenden auch tut.
Ersetzen wir nun das Wort „Eisscholle“ in ihrer ganz bestimmten Kontur durch das Wort „Charakter“ und schon haben wir die Verbindung zu uns selbst geschaffen. Seit dem sogenannten „Sündenfall“ sind wir Menschen „gefroren“, d.h. sind wir zu Menschen mit einem bestimmten Charakter geworden und „schwimmen“ nun mit unseren Mitmenschen auf dem „Wasser“,was zu Zusammenstößen und Konflikten führt.


Natürlich kann man ein Gleichnis nicht unendlich auswalzen; es macht nur etwas bestimmtes anschaulich. Wenn wir frei und glücklich werden wollen, so sagt das Bild, müssen wir uns zu Wasser auflösen, wir müssen „schmelzen“. Damit Eis schmilzt, muss es warm werden, muss die Sonne darauf scheinen. Das Eis kann nicht in seinem gegenwärtigen Zustand, den es hat, sich sagen, „ich schmelze“. Aber scheint die Sonne und es wird warm, geschieht es ganz von selbst. Setzen wir nun anstelle des Begriffes „Sonne“ den Begriff „höheres Bewußtsein“ oder „Bewusstsein der Wahrheit“, dann kann durch die Liebe zur Wahrheit(= Wärme) unser von Gott getrenntes Wesen völlig aufgelöst und mit Gott ( dem „Ozean“) eins werden.
In der Vereinigung mit ihm, im Eins-geworden-Sein, liegt die völlig zu erfahrende Befreiung von allem Übel, liegt die volle Glückseligkeit. Solange aber immer noch etwas vom „Eis“ vorhanden ist, ist unser wahres Wesen, nämlich „fließendes Wasser“ noch nicht völlig erlebbar. Da nützt es auch nichts, wenn die Eisscholle in eine völlig andere Gegend kommt, wie wir etwa durch den physischen Tod. Dieser Tod bringt uns nicht zum „Schmelzen“ und ins „Himmelreich“, sondern ist noch Folge unserer Sündhaftigkeit. Denn die Ursünde brachte auch den physischen Tod. Nur das völlige Absterben unseres Egos bringt uns der Erlösung näher.
Es geht also, wie wir an diesem Gleichnis gesehen haben, und wie es auch Bestandteil der Kirchenlehre ist – allerdings wird darüber kaum gesprochen -,um unsere „Theosis“, unsere Gottwerdung, wie der Begriff sagt.
Als Christen nennen wir zwar Gott „Vater“, aber das verstehen wir leider ganz anders als es die Juden zu Jesu Zeit verstanden. Die wollten nämlich Jesus Christus nicht nur töten, weil er den Sabbath brach, sondern vor allem, weil er Gott seinen Vater nannte. Dadurch mache er sich Gott gleich (Joh 5,18), erkannten sie folgerichtig. Und Jesus konterte nicht, mit „nein, so ist es nicht gemeint“, sondern mit Psalm 82,6 “Ich habe gesagt: Ihr seid Götter”.
Auch Paulus bescheinigt den Griechen, dass sie (und alle Menschen) in Wahrheit Götter sind: “Da wir nun Gottes Geschlecht sind…” (Apg. 17,29).
Der Kirchenvater Augustinus fragt „Wenn die Seele etwas liebt, wird sie ihm gleich; wenn sie weltliche Dinge liebt, wird sie weltlich, aber wenn sie Gott lieben sollte (so muss man fragen), wird sie dann nicht zu Gott?“
Heute weisen das die meisten Christen entrüstet ab. Sie betonen immer wieder ihre Sündhaftigkeit. Ja, sie sehen in einer solchen Aussage sogar die “Verführung der Schlange”, wie sie schon in der Genesis geschildert wurde. Das alles aber ist nichts anderes als undifferenziertes, oberflächliches Denken der heutigen Christen.


Irenäus (* um135; † um 200) schreibt: „Der Mensch schreitet allmählich vorwärts und erhebt sich zur Vollkommenheit. Das heißt, er nähert sich dem Ewigen. Das Ewige ist vollkommen, und das ist Gott. Der Mensch muss zuerst ins Dasein treten, dann Fortschritt machen, und durch den Fortschritt erreicht er Menschlichkeit, hat er die Menschlichkeit erreicht, so muss er zunehmen und zunehmend ausharren und ausharrend verherrlicht werden und so seinen Herrn sehen.” Athanasius (293-373), Bischof von Alexandria, stellt in seiner berühmten Schrift Über die Inkarnation des Wortes fest, dass Christus „ein Mensch wurde, damit wir göttlich gemacht werden können.“ Der heilig gesprochene Symeon aus dem 10. Jahrhundert sagt, „Er, der Gott ist, spricht mit denen, die er durch Gnade zu Göttern gemacht hat, so wie ein Freund mit einem Freund spricht, von Angesicht zu Angesicht.” Um es kurz zu machen: “Gott wurde Mensch, damit wir Gott werden können, war ein Gemeinplatz in den Lehren der Theologie.” (William R. Inge, Christian Mysticism. H.v.mir)
Selbst Luther hat diese Lehre noch aufgenommen und schreibt, “der Mensch mit Gnaden beholfen ist mehr als ein Mensch. Ja die Gnade Gottes macht ihn gottförmig und vergöttlicht ihn.” (WA. 2.248.1). “Deshalb wird Gott Mensch, damit der Mensch Gott werde. (WA.5, 167, 40) “Christus und der Glaubende werden ‚wie eine Person‘ “ (WA. 40,1, 285) “Der Glaubende ist ein göttlicher Mensch (homo divinus)” (WA 40.1.390).
Belassen wir es an dieser Auswahl, die noch um viele Zitate vermehrt werden könnte und bringen wir uns zu Bewusstsein, dass alles das falsche Lehre ist, die einen einfacheren Weg der Erlösung lehrt. Es gibt keine billige Gnade, die uns nach dem physischen Tod die Erlösung bringt.

3 Gedanken zu “Ich bin eine Eisscholle,

  1. Danke, lieber Manfred.
    „Starker Tobak“, aber biblisch und daher wahr. Lass uns beten um einen „Hunger nach dieser Wahrheit“. Sie bricht in uns auf und durch, wenn Gott die Augen des Herzens öffnet. Für den „Alten Menschen“ ist sie Granit.
    Sei gesegnet! Herbert

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  2. LEBEN — denkt der Mensch beschränkt –,

    das Leben sei ihm ja geschenkt !

    Dieser Irrtum wird verziehen,

    wenn du ein siehst: NUR GELIEHEN !

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