As times goes by

Im Dezember hatte ich mir wieder einmal ein „christliches Buch“ zur Rezension bestellt, aber bald gemerkt, dass mich das Thema eigentlich nicht mehr interessierte. Längst war ich über das Pfingstlerische, Charismatische hinausgewachsen.

Bereits während meiner Zeit als Bausoldat in der damaligen DDR hatte ich einige übersinnliche Erlebnisse, die durch die Begegnung mit der charismatischen Bewegung sich vertieften und ausweiteten.

Mit Begeisterung las ich charismatische und pfingstlerische Literatur, die hauptsächlich dadurch vorhanden war, dass man sie sich gegenseitig auslieh. „Die glücklichsten Menschen auf Erden“ von Demos Shakarian trug nicht unwesentlich dazu bei, dass ich zu meiner ersten Vision kam (s. hier).

Meine Erwartungen in die Bewegung waren hoch und ich hoffte auf eine kraftvollere Wiederholung der Ereignisse, die 1835 zur Aussendung von 12 Aposteln führte, die die Christenheit durch das Wirken in Geisteskraft einen sollte. Der gegenwärtige Zustand der Kirchen und Gemeinden bedrückte mich sehr. Sie waren in meinen Augen „tot“. Da war wesentlich nur Gewohnheit, Tradition wahrnehmbar.

Obwohl mir bald in einer Vision gezeigt wurde, dass aus dieser Bewegung nichts zu erhoffen war, bezog ich weiterhin Zeitschriften aus der Erneuerungsbewegung, um ja nichts zu verpassen!

Nun, die Geschichte hat gezeigt, dass dieser Aufbruch tatsächlich schon in seinen Anfängen steckenblieb, weil eine theologische Durchdringung der unsichtbaren Realitäten unterblieb und der Geist nicht „in alle Wahrheit“ führen durfte, sondern lediglich gut dazu war, Heilungen zu bewirken oder dem eigenen Ego zur Anerkennung zu verhelfen, indem man sich darauf berief, dass „der Geist“ einem dies oder jenes gesagt habe.

Schon im Anfang meiner Berührung mit pfingstlerisch/charismatischer Literatur wunderte ich mich über das Banale, das „Gott“ angeblich wollte oder dem Menschen schenkte. Das schien mir etwas daneben, wo mir schon mein Verstand sagte, dass es Wichtigeres gab. Aber damals war ich noch zu sehr von Ehrfurcht erfüllt, als dass ich das Menschliche darin durchschaut hätte.

Nun hatte ich also ein Buch zu besprechen, das den neuesten Stand der Bewegung reflektierte. Sie ist nicht tiefer geworden, sondern breiter. Doch um im europäischen Raum wirklich fruchtbar werden zu können, benötigt der Glaube eine Vertiefung, wie sie nur aus der Erkenntnis der unbewussten Glaubensmuster des natürlichen Menschen entspringen kann, die einer Heiligung des ganzen Menschen im Wege stehen. Dazu leisten Pfingst- und charismatische Bewegung bisher nichts.

Charismatisch, evangelikal und katholisch


Sandler, Willibald. Charismatisch, evangelikal und katholisch
Verlag Herder, 2021, 360 S., 28,- €

Die Symbiose von evangelikal und katholisch im Titel weckte meine Neugier. Passt denn das zusammen? Wie kann man als katholischer Christ evangelikal sein? Natürlich wird sich kein Katholik als evangelikal bezeichnen, sondern hier handelt es sich um eine Zuschreibung des Autors, um das Gemeinsame einer immer mehr über-, ja postkonfessionellen Praxis zu beschreiben. Diese ist von gefühls- und erwartungsorientierter Frömmigkeit geprägt, wie wir sie besonders aus der Pfingst- und der charismatischen Bewegung kennen und die sich damit vom Traditionalismus und progressiven Katholizismus unterscheidet.

Das Buch, verfasst von einem katholischen Theologen, der selbst bekennender Charismatiker ist, gibt im Kern einen guten Überblick über die evangelischen Erweckungsbewegungen, beginnend mit Graf Zinzendorf und den Herrnhutern bis zum „Mission Manifest“ des Augsburger Gebetshauses unter der Leitung von Johannes Hartl.

Zunehmend sehen viele Bischöfe und Pastoralverantwortliche in diesen Bewegungen und Initiativen die Zukunft der Katholischen Kirche, andere darin ihren Niedergang.

Es geht deshalb dem Autor darum, Brücken zu bauen und Dialog zu ermöglichen. Auch möchte er Hilfe zur Unterscheidung der Geister bieten.

Während er Potentiale in der lebendigen Frömmigkeit und der Erwartungshaltung sieht, die anziehend auf andere Menschen wirke, sieht er eine Gefahr in der „Geschichtsvergessenheit und Theologieverweigerung“ dieser Strömungen.

Damit ist andererseits klar, dass unreflektiertes Erleben Glauben an der Oberfläche bleiben lässt, wo doch nur Tiefe der Erkenntnis einer naturwissenschaftlich geschulten Wissensgesellschaft Paroli bieten kann. Eine Festigung im Glauben muss, wo die Erwartungen enttäuscht werden, ausbleiben. Das kann dann dazu führen, dass der Glaube gänzlich verworfen wird.

Heute benötigt man Verständnis für übersinnliche Wirkzusammenhänge.

Es bleibt dahingestellt, ob sich unter diesen Umständen Hoffnungen auf eine Neu-Missionierung Europas erfüllen können.

Mir bietet das Buch zu wenig Kritik, was ich zwar angesichts einer exoterisch bleibenden Theologie verstehen kann, aber ist es wirklich so schwierig, eine „geistliche Kriegsführung“ à la Peter Wagner als das, was es ist, nämlich Unsinn, zu bezeichnen? Der geistliche Kampf – wie ihn die Bibel versteht – richtet sich nicht gegen „Territorien“, sondern gegen die falschen Überzeugungen der Menschen. Auch die Dämonenaustreibungen sind ein Anachronismus, der als solcher benannt werden muss.

Das Buch kann nur der Anfang einer gründlichen Auseinandersetzung sein.