Was bedeutet es, „im Geist zu wandeln“?

Die Heiligung ist für das Christenleben von existentieller Bedeutung. Das ist, wie mir immer wieder deutlich wird, überhaupt nicht bekannt. Man meint, es genüge doch, an Jesus Christus als Erlöser zu glauben. Aber was ist denn dieser Glaube? Ist es, wie man meint, das, was in der Bibel steht, für wahr zu halten? Das ist dann nur eine Kopfsache und nichts, das das Leben grundlegend verändert.

Heiligung ist der praktische Vollzug des Glaubens, es ist das tagtägliche Wandeln im Geist, das Beten ohne Unterlass (1. Thess. 5,17).

Durch die Wiedergeburt bin ich potentiell heilig (Kol. 3,12; Eph. 1,1) und vollkommen (Kol. 2,10; 2.Kor. 13,11). Aber das alles hat für mich keinen wahren Nutzen, wenn es nicht auch zur Erfahrung wird. Es ist wie ein Samenkorn, das aufgehen und wachsen muss (Mt. 7,17). Das geschieht auf dem Weg des Lebens (Jo. 14,6), dem Weg der Heiligung.

Heiligung bedeutet also mein Leben mit dem, was ich wirklich als wiedergeborener Mensch bin, nämlich ein ewiges, unverletzbares, glückliches Wesen, in Einklang zu bringen. Es ist damit die allmähliche, d.h. fortschreitende Überwindung der „fleischlichen“ Natur, also dessen, was ich durch meine natürliche Geburt, die Erziehung usw. geworden bin: „Wandelt im Geist, und ihr werdet die Begierde des Fleisches nicht erfüllen.“ Gal. 5,16

Das „Fleisch“ ist also das, was aus dem Gleichnis und Ebenbild Gottes durch den Sündenfall geworden ist: Ein Wesen, das dem Leid unterliegt, weil es sich selbst als vergänglich betrachtet und deshalb das Vergängliche, d.h. die Dinge dieser Welt begehrt.

Man muss also dieses Begehren, d.h. die Welt, überwinden, um wirklich heil zu werden.

Die Motivation dazu finden wir in der ständigen Besinnung darauf, dass ein leidfreies Leben möglich ist und nur durch die Überwindung zu erreichen ist.

Im Nachhinein bin ich froh, dass ich durch innere Notwendigkeit bereits im Alter von 21 Jahren dazu „gezwungen“ wurde, weil mein Leben durch meine psychischen Probleme unerträglich geworden war. Froh und dankbar bin ich heute auch dafür, keine ärztliche oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen zu haben. Seit Jahrzehnten, da ich ein glücklicher Mensch bin, kann ich sagen, ich habe den Segen der Heiligung erfahren! It works!

Das heißt aber nicht, dass es damit vorbei ist. Im Grunde sollte Heiligung wie das natürliche Wachstum einer Pflanze sein. Sie wird kontinuierlich immer größer. Nicht außerhalb von mir, nicht in dem, was die Welt bietet, finde ich Genesung von allem Leid, sondern allein in mir. In mir, in meinem Körper kann ich mich ständig immer wohler fühlen.

Seelische Prozesse bei Glaubensübung „Zur Ruhe kommen“

Wer Glauben praktiziert, wird immer wieder von den eigenen Empfindungen angefochten. Da hilft es, die psychischen Prozesse zu verstehen.

Alles hat seine Wurzel in der Unterscheidung zwischen positiv und negativ. Wenn man zum Beispiel loslässt, um zur Ruhe zu kommen, kann es passieren, dass man diesen oder jenen Mangel verspürt und deshalb traurig wird. Das Empfinden von Mangel kommt grundsätzlich aus der genannten Unterscheidung. Denn wenn ich mir meiner selbst und damit getrennt von der Umwelt bewusst bin, fehlt natürlich immer etwas, denn die Umwelt ist nicht mein und ich bin nicht mit ihr eins.

In unserer Gesellschaft sind es aber nicht die Grundbedürfnisse, deren Befriedigung wir vermissen, sondern eben allerlei, das zum Leben nicht notwendig ist. Ich kann Zuwendung vermissen, dieses oder jenes kulturelle Angebot, da ich auf dem Dorf oder in einer Kleinstadt wohne, Abwechslung, Anregung usw.. Aber alles das, was ich entbehren muss, ist nicht an sich begehrenswert, sondern es erscheint mir nur als solches, weil meine subjektive Empfindung mir das einredet. Sie tut es deshalb, weil ich in der Vergangenheit gewöhnt war, meine Befriedigung in den Dingen der äußeren Welt und bei Menschen zu suchen, anstatt im Ewigen. Weil ich da auch zeitweilig Befriedigung empfand, möchte ich das so für gut Befundene wiederholen, obwohl ich jetzt weiß, dass ich durch solches Streben niemals ein glückseliger Mensch werden kann.

Wenn man also nur zur Ruhe kommen will, kommt man deshalb noch nicht zur wahren Ruhe, die mit der Glückseligkeit eins ist, sondern nur auf seinen emotionalen Gemütsgrund. Deshalb ist es, neben dieser Übung, auch immer wieder nötig, positiv zu affirmieren, also, z.B. dass man unabhängig von Menschen und Dingen allezeit glücklich und fröhlich ist. Nur so kommt man dem geglaubten Ziel – nämlich tatsächlich frei und allezeit glücklich zu sein – näher, sodass man bei späterem Loslassen und „alles dasein lassen“ (s.o.), auf einen besseren, heiteren Gemütsgrund kommt.

Man glaubt also manchmal an die Kraft der Affirmationen nicht, weil einem die Gefühle das Gegenteil sagen. Aber die Entwicklung positiver Gefühle benötigt Zeit, während die bereits vorhandenen Gefühle nur deshalb so stark sind, da sie ja bereits lange unbewusst eingeübt wurden. Dieser Unglaube kommt also aus dem Gefühlsurteil der Vergangenheit.

Wahrheit ist, dass allein das Ewige das dauerhafte Glück sichert. Aber dieses Glück hat keine andere Zugkraft als eben die Wahrheit selbst. Deshalb ist es notwendig, sich über sie zu freuen, damit sie, wie die bisherige Unzufriedenheit, zur Erfahrung wird.

Ich bin eine Eisscholle,

aber in Wahrheit der Ozean, auf dem sie schwimmt. Was will ich mit diesem Gleichnis sagen? Eine Eisscholle ist nichts anderes als gefrorenes Wasser, aber sie ist im Gegensatz zu ihm fest, hat eine bestimmte Kontur, eckt an andere Eisschollen an, wird auch durch sie in eine andere Position gedrängt, wie sie das mit den ihr Begegnenden auch tut.
Ersetzen wir nun das Wort „Eisscholle“ in ihrer ganz bestimmten Kontur durch das Wort „Charakter“ und schon haben wir die Verbindung zu uns selbst geschaffen. Seit dem sogenannten „Sündenfall“ sind wir Menschen „gefroren“, d.h. sind wir zu Menschen mit einem bestimmten Charakter geworden und „schwimmen“ nun mit unseren Mitmenschen auf dem „Wasser“,was zu Zusammenstößen und Konflikten führt.


Natürlich kann man ein Gleichnis nicht unendlich auswalzen; es macht nur etwas bestimmtes anschaulich. Wenn wir frei und glücklich werden wollen, so sagt das Bild, müssen wir uns zu Wasser auflösen, wir müssen „schmelzen“. Damit Eis schmilzt, muss es warm werden, muss die Sonne darauf scheinen. Das Eis kann nicht in seinem gegenwärtigen Zustand, den es hat, sich sagen, „ich schmelze“. Aber scheint die Sonne und es wird warm, geschieht es ganz von selbst. Setzen wir nun anstelle des Begriffes „Sonne“ den Begriff „höheres Bewußtsein“ oder „Bewusstsein der Wahrheit“, dann kann durch die Liebe zur Wahrheit(= Wärme) unser von Gott getrenntes Wesen völlig aufgelöst und mit Gott ( dem „Ozean“) eins werden.
In der Vereinigung mit ihm, im Eins-geworden-Sein, liegt die völlig zu erfahrende Befreiung von allem Übel, liegt die volle Glückseligkeit. Solange aber immer noch etwas vom „Eis“ vorhanden ist, ist unser wahres Wesen, nämlich „fließendes Wasser“ noch nicht völlig erlebbar. Da nützt es auch nichts, wenn die Eisscholle in eine völlig andere Gegend kommt, wie wir etwa durch den physischen Tod. Dieser Tod bringt uns nicht zum „Schmelzen“ und ins „Himmelreich“, sondern ist noch Folge unserer Sündhaftigkeit. Denn die Ursünde brachte auch den physischen Tod. Nur das völlige Absterben unseres Egos bringt uns der Erlösung näher.
Es geht also, wie wir an diesem Gleichnis gesehen haben, und wie es auch Bestandteil der Kirchenlehre ist – allerdings wird darüber kaum gesprochen -,um unsere „Theosis“, unsere Gottwerdung, wie der Begriff sagt.
Als Christen nennen wir zwar Gott „Vater“, aber das verstehen wir leider ganz anders als es die Juden zu Jesu Zeit verstanden. Die wollten nämlich Jesus Christus nicht nur töten, weil er den Sabbath brach, sondern vor allem, weil er Gott seinen Vater nannte. Dadurch mache er sich Gott gleich (Joh 5,18), erkannten sie folgerichtig. Und Jesus konterte nicht, mit „nein, so ist es nicht gemeint“, sondern mit Psalm 82,6 “Ich habe gesagt: Ihr seid Götter”.
Auch Paulus bescheinigt den Griechen, dass sie (und alle Menschen) in Wahrheit Götter sind: “Da wir nun Gottes Geschlecht sind…” (Apg. 17,29).
Der Kirchenvater Augustinus fragt „Wenn die Seele etwas liebt, wird sie ihm gleich; wenn sie weltliche Dinge liebt, wird sie weltlich, aber wenn sie Gott lieben sollte (so muss man fragen), wird sie dann nicht zu Gott?“
Heute weisen das die meisten Christen entrüstet ab. Sie betonen immer wieder ihre Sündhaftigkeit. Ja, sie sehen in einer solchen Aussage sogar die “Verführung der Schlange”, wie sie schon in der Genesis geschildert wurde. Das alles aber ist nichts anderes als undifferenziertes, oberflächliches Denken der heutigen Christen.


Irenäus (* um135; † um 200) schreibt: „Der Mensch schreitet allmählich vorwärts und erhebt sich zur Vollkommenheit. Das heißt, er nähert sich dem Ewigen. Das Ewige ist vollkommen, und das ist Gott. Der Mensch muss zuerst ins Dasein treten, dann Fortschritt machen, und durch den Fortschritt erreicht er Menschlichkeit, hat er die Menschlichkeit erreicht, so muss er zunehmen und zunehmend ausharren und ausharrend verherrlicht werden und so seinen Herrn sehen.” Athanasius (293-373), Bischof von Alexandria, stellt in seiner berühmten Schrift Über die Inkarnation des Wortes fest, dass Christus „ein Mensch wurde, damit wir göttlich gemacht werden können.“ Der heilig gesprochene Symeon aus dem 10. Jahrhundert sagt, „Er, der Gott ist, spricht mit denen, die er durch Gnade zu Göttern gemacht hat, so wie ein Freund mit einem Freund spricht, von Angesicht zu Angesicht.” Um es kurz zu machen: “Gott wurde Mensch, damit wir Gott werden können, war ein Gemeinplatz in den Lehren der Theologie.” (William R. Inge, Christian Mysticism. H.v.mir)
Selbst Luther hat diese Lehre noch aufgenommen und schreibt, “der Mensch mit Gnaden beholfen ist mehr als ein Mensch. Ja die Gnade Gottes macht ihn gottförmig und vergöttlicht ihn.” (WA. 2.248.1). “Deshalb wird Gott Mensch, damit der Mensch Gott werde. (WA.5, 167, 40) “Christus und der Glaubende werden ‚wie eine Person‘ “ (WA. 40,1, 285) “Der Glaubende ist ein göttlicher Mensch (homo divinus)” (WA 40.1.390).
Belassen wir es an dieser Auswahl, die noch um viele Zitate vermehrt werden könnte und bringen wir uns zu Bewusstsein, dass alles das falsche Lehre ist, die einen einfacheren Weg der Erlösung lehrt. Es gibt keine billige Gnade, die uns nach dem physischen Tod die Erlösung bringt.

Hast Du „den Schatz“ wirklich schon gefunden?

Das frage ich mich selbst, weil ich heute bemerkte, dass ich mich doch etwas viel mit der russischen Invasion in der Ukraine beschäftige. Das ist ja nun wirklich nichts Erfreuliches. „Weshalb tust du dir das eigentlich an ? “ Ich muss mich doch nicht mit negativen Erscheinungen der Welt beschäftigen. Ich habe doch das Beste, das es geben kann.

Das Himmelreich ist gleich einem im Acker verborgenen Schatz, den ein Mensch fand und verbarg. Und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft jenen Acker.

(Mt. 13,44)

Also, warum lässt du dich ablenken?
Wer einen Schatz gefunden hat, hat nur noch im Sinn, ihn vollständig zu bergen! – Offenbar ist mir eben nicht wirklich bewusst, was ich habe. Doch wenn selbst ich noch so unbewusst bin, was ist dann erst mit den anderen, mit meinen Mitbrüdern und -schwestern? Mit jenen, die ständig über die moderne Gesellschaft die Nase rümpfen, weil sie keine christlichen Werte umsetzt? Oder denen, die unentwegt im Clinch mit anderen um das rechte Verständnis der Bibel liegen? Und schließlich noch jene, die mehr gedankenlos gutbürgerlich dahinleben und meinen, dies ließe sich mit dem christlichen Glauben vereinbaren?
Uns allen fehlt mehr oder minder nicht irgendein „Glaube“, sondern wirklich das Bewusstsein, einen Schatz jetzt auf Erden (und nicht erst dann – nach dem Tod) zu haben. Weshalb? – Weil wir alle durch falsche Glaubenslehrer fehlgeleitet wurden!

Jäh wurden wir aus dem Schlaf gerissen

Plötzlich ist der Weltfriede wieder gefährdet. Unversehens wurde ein neues Wettrüsten angestoßen, ist ein abermaliger „eiserner Vorhang“ zwischen Ost und West denkbar geworden.
Es ist klar, dass es keinen dauerhaften äußeren Frieden geben kann, wenn der innere Friede fehlt. Inneren Frieden kann nur jeder Mensch persönlich erlangen (s. auch: „Wahrer Friede“). Er ist kein Natur- oder gesellschaftliches Ereignis.
Nun reden wir Christen gern vom „Frieden Gottes“, den wir (angeblich) haben. Aber ist dieser Friede
wirklich substanzhaft? Etwa so, wie der von Swami Muktananda, dessen Friede so groß war, dass ein
ganzer Ort ihn bat, „für immer dort zu bleiben, da sich um ihn herum Frieden ausbreitete.“[1]? Oder jener von Sadhu Sundar Singh, der berichtete, dass ihn der Friede auch im größten äußeren Leid nicht verließ? – Es ist nicht von ungefähr, dass hier zwei Inder als Protagonisten genannt werden, denn sie wissen, dass geistliche Schätze nur durch geistliche Disziplin erlangt werden können. Wir stattdessen meinen, es müsste uns alles in den Schoß fallen, da Gott uns ja gnädig sei.
Doch wie lautet es im Hebräerbrief (12,14)? – „Jagt nach dem Frieden…“. Der Friede flüchtet ständig vor dem Menschen. Der Mensch muss ihm wahrhaft hinterherjagen, um in seinen Besitz zu kommen.
Friede beginnt in der Gedankendisziplin. Indem wir wissen, dass es nichts Wertvolleres als unsere
Unsterblichkeit/Ewigkeit/Gott gibt, haben wir bereits alles und brauchen nichts Äußeres, noch kann uns Letzteres wirklichen Schaden zufügen. In der Pflege dieser Gedanken lassen wir uns nicht verleiten, erregt oder gar empört zu werden, sondern wir bleiben immer bei uns, die wir Frieden haben.

[1] EZW, Orientierungen und Berichte Nr. 19,9

As times goes by

Im Dezember hatte ich mir wieder einmal ein „christliches Buch“ zur Rezension bestellt, aber bald gemerkt, dass mich das Thema eigentlich nicht mehr interessierte. Längst war ich über das Pfingstlerische, Charismatische hinausgewachsen.

Bereits während meiner Zeit als Bausoldat in der damaligen DDR hatte ich einige übersinnliche Erlebnisse, die durch die Begegnung mit der charismatischen Bewegung sich vertieften und ausweiteten.

Mit Begeisterung las ich charismatische und pfingstlerische Literatur, die hauptsächlich dadurch vorhanden war, dass man sie sich gegenseitig auslieh. „Die glücklichsten Menschen auf Erden“ von Demos Shakarian trug nicht unwesentlich dazu bei, dass ich zu meiner ersten Vision kam (s. hier).

Meine Erwartungen in die Bewegung waren hoch und ich hoffte auf eine kraftvollere Wiederholung der Ereignisse, die 1835 zur Aussendung von 12 Aposteln führte, die die Christenheit durch das Wirken in Geisteskraft einen sollte. Der gegenwärtige Zustand der Kirchen und Gemeinden bedrückte mich sehr. Sie waren in meinen Augen „tot“. Da war wesentlich nur Gewohnheit, Tradition wahrnehmbar.

Obwohl mir bald in einer Vision gezeigt wurde, dass aus dieser Bewegung nichts zu erhoffen war, bezog ich weiterhin Zeitschriften aus der Erneuerungsbewegung, um ja nichts zu verpassen!

Nun, die Geschichte hat gezeigt, dass dieser Aufbruch tatsächlich schon in seinen Anfängen steckenblieb, weil eine theologische Durchdringung der unsichtbaren Realitäten unterblieb und der Geist nicht „in alle Wahrheit“ führen durfte, sondern lediglich gut dazu war, Heilungen zu bewirken oder dem eigenen Ego zur Anerkennung zu verhelfen, indem man sich darauf berief, dass „der Geist“ einem dies oder jenes gesagt habe.

Schon im Anfang meiner Berührung mit pfingstlerisch/charismatischer Literatur wunderte ich mich über das Banale, das „Gott“ angeblich wollte oder dem Menschen schenkte. Das schien mir etwas daneben, wo mir schon mein Verstand sagte, dass es Wichtigeres gab. Aber damals war ich noch zu sehr von Ehrfurcht erfüllt, als dass ich das Menschliche darin durchschaut hätte.

Nun hatte ich also ein Buch zu besprechen, das den neuesten Stand der Bewegung reflektierte. Sie ist nicht tiefer geworden, sondern breiter. Doch um im europäischen Raum wirklich fruchtbar werden zu können, benötigt der Glaube eine Vertiefung, wie sie nur aus der Erkenntnis der unbewussten Glaubensmuster des natürlichen Menschen entspringen kann, die einer Heiligung des ganzen Menschen im Wege stehen. Dazu leisten Pfingst- und charismatische Bewegung bisher nichts.

Charismatisch, evangelikal und katholisch


Sandler, Willibald. Charismatisch, evangelikal und katholisch
Verlag Herder, 2021, 360 S., 28,- €

Die Symbiose von evangelikal und katholisch im Titel weckte meine Neugier. Passt denn das zusammen? Wie kann man als katholischer Christ evangelikal sein? Natürlich wird sich kein Katholik als evangelikal bezeichnen, sondern hier handelt es sich um eine Zuschreibung des Autors, um das Gemeinsame einer immer mehr über-, ja postkonfessionellen Praxis zu beschreiben. Diese ist von gefühls- und erwartungsorientierter Frömmigkeit geprägt, wie wir sie besonders aus der Pfingst- und der charismatischen Bewegung kennen und die sich damit vom Traditionalismus und progressiven Katholizismus unterscheidet.

Das Buch, verfasst von einem katholischen Theologen, der selbst bekennender Charismatiker ist, gibt im Kern einen guten Überblick über die evangelischen Erweckungsbewegungen, beginnend mit Graf Zinzendorf und den Herrnhutern bis zum „Mission Manifest“ des Augsburger Gebetshauses unter der Leitung von Johannes Hartl.

Zunehmend sehen viele Bischöfe und Pastoralverantwortliche in diesen Bewegungen und Initiativen die Zukunft der Katholischen Kirche, andere darin ihren Niedergang.

Es geht deshalb dem Autor darum, Brücken zu bauen und Dialog zu ermöglichen. Auch möchte er Hilfe zur Unterscheidung der Geister bieten.

Während er Potentiale in der lebendigen Frömmigkeit und der Erwartungshaltung sieht, die anziehend auf andere Menschen wirke, sieht er eine Gefahr in der „Geschichtsvergessenheit und Theologieverweigerung“ dieser Strömungen.

Damit ist andererseits klar, dass unreflektiertes Erleben Glauben an der Oberfläche bleiben lässt, wo doch nur Tiefe der Erkenntnis einer naturwissenschaftlich geschulten Wissensgesellschaft Paroli bieten kann. Eine Festigung im Glauben muss, wo die Erwartungen enttäuscht werden, ausbleiben. Das kann dann dazu führen, dass der Glaube gänzlich verworfen wird.

Heute benötigt man Verständnis für übersinnliche Wirkzusammenhänge.

Es bleibt dahingestellt, ob sich unter diesen Umständen Hoffnungen auf eine Neu-Missionierung Europas erfüllen können.

Mir bietet das Buch zu wenig Kritik, was ich zwar angesichts einer exoterisch bleibenden Theologie verstehen kann, aber ist es wirklich so schwierig, eine „geistliche Kriegsführung“ à la Peter Wagner als das, was es ist, nämlich Unsinn, zu bezeichnen? Der geistliche Kampf – wie ihn die Bibel versteht – richtet sich nicht gegen „Territorien“, sondern gegen die falschen Überzeugungen der Menschen. Auch die Dämonenaustreibungen sind ein Anachronismus, der als solcher benannt werden muss.

Das Buch kann nur der Anfang einer gründlichen Auseinandersetzung sein.

„Niemand kommt zum Vater, denn durch mich“

Jesus spricht „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“ (Joh. 14,16). Doch weshalb sollte man überhaupt zum Vater kommen wollen? Man macht sich gewöhnlich keine Gedanken darüber und wenn man doch irgendwelche Vorstellungen dazu hat, dann sind sie wohl eher unzutreffend.

Der Vater ist der Ursprung. Der Ursprung ist das Leben! Um zum Vater kommen zu können, müssen wir als Geschöpfe alles Geschaffene verlassen. Das ist der Weg! Weil Jesus Christus diesen Weg gegangen und eins mit dem Vater ist, kann er auch davon sprechen, dass er der Weg ist. Wir haben bereits Weg und Ziel. Aber was hat es mit der Wahrheit auf sich? – Ganz einfach: Wir sind deshalb vom Vater getrennt, weil wir die Wahrheit nicht kennen und deshalb in der Unwahrheit leben. Wir leben nicht richtig, d.h. wir sind nicht „gerecht“ vor Gott und leiden deshalb.

Nun geht es aber im christlichen Glauben in Wahrheit nicht um einen Personenkult. Wahrheit ist nicht exklusiv, sondern inclusiv. Sie schließt lediglich das Unwahre aus. Jeder versteht deshalb den Weg völlig falsch, der meint, der Weg könne ausschließlich auf dem Boden christlichen Glaubens beginnen. Denn dem Menschen stehen grundsätzlich nur zwei Wege offen, d.h. er hat nur zwei Möglichkeiten zu leben. Diese Möglichkeiten hat Jesus klar definiert (Mt. 7,13-14). Der breite Weg ist der Weg der Anhänglichkeit am Geschaffenen. Der andere ist der der Loslösung von der Welt.

Es ist klar erkennbar, dass nicht nur der breite Weg überall in der Welt beschritten wird, sondern auch der schmale Weg, ohne dass man sich mit Jesus Christus verbunden weiß. Ursprünglich dienten Yoga oder buddhistische Versenkung, Zen-Meditation und anderes einzig dazu, um sich von den Anhaftungen an das Innerweltliche, also den Dingen und Personen, zu lösen. Etwas anderes können auch Christen nicht tun. Aber tun sie es mit der gleichen Ernsthaftigkeit wie die vermeintlichen Heiden? – Durch eine solche Loslösung stirbt man – christlich formuliert – unweigerlich „dem alten Menschen“, dem „Fleisch“, der Sünde ab und kommt zum wahrhaftigen Leben.

Das ist etwas ganz anderes als der oberflächliche Glaube vieler Christen, die meinen, Gott würde schon alles tun, und sie kämen aus Gnade in den Himmel, was sie mit dem „beim Vater sein“ gleichsetzen. Sie denken nicht ernsthaft daran, den schmalen Weg zu gehen, sondern meinen, ihr Bekenntnis zu Christus, eventuell etwas Evangelisation/Mission, sei der Weg.

Nein, es geht um die Umwandlung unserer Natur. Die ist nur durch permanentes Loslassen zu erreichen. Der so entstehende neue Mensch lebt unter allen äußeren Bedingungen in Glückseligkeit, denn er trägt nicht nur das Himmelreich in sich, sondern es tut sich am „Ende“ auch kund in der Unverletzlichkeit seiner neuen Leiblichkeit (Joh. 6,54).

Alles in meiner Macht Stehende

kann ich tun. Das Dumme ist nur, wir tun es nicht, sondern sind darum bemüht, das zu tun, wozu wir nicht in der Lage sind. Darin liegt das Scheitern der Menschen. Wir wollen andere Menschen verändern, unsere Umwelt, die Gesellschaft, die Natur. Wir buhlen um Anerkennung. Wir wollen Einfluss in der Gemeinde, der Kirche haben, usw. usf.. Doch überall, wo wir jemand anderen benötigen, sind wir machtlos. Wir können nur über uns selbst verfügen. Nur über uns selbst können wir Macht erlangen, da sie uns ganz natürlich gegeben ist1. Doch bleiben wir machtlos, solange wir uns nicht selbst verändern wollen und deshalb auch nicht wissen, wie es geht, wie es gemacht wird.

Wenn wir uns nicht selbst verändern, bleiben wir, wie wir sind. Da kann auch ein Gott nichts machen, denn wir sind keine Maschinen, die einfach nur repariert werden könnten. Wenn wir uns nicht ändern, nützt auch der höchste Himmel nichts, denn wir wären weiterhin unglücklich. Aber wir können uns ändern, wenn wir nur wollen. Das heißt aber nicht, dass wir sofort, wenn wir uns zum Wollen entschlossen haben, auch schnelle Erfolge sehen. Ganz und gar nicht! In uns gibt es gegen solche Entschlüsse genügend Widerstände, nämlich unser bisheriges Wollen, das zum neuen Wollen im Widerspruch steht, die Macht unserer Gewohnheiten, die ja bereits so stark geworden sein können, dass sie sich bereits in physischen Krankheiten manifestieren. Aber wir können jeden in uns liegenden Widerstand überwinden und wirklich heil an Seele und Leib werden. Das mag jetzt etwas blauäugig klingen und doch ist es so.

Voraussetzung dafür, ist natürlich, dass wir „von Neuem geboren werden“ (Joh. 3,7). Diese Aufforderung ist natürlich heute zu einer Floskel verkommen, mit der niemand mehr etwas rechtes anfangen kann. Aber sie bedeutet, wenn weiterhin unsere Grundüberzeugung ist, dass wir nur Geschöpfe sind, also lediglich von Vater und Mutter und letzendlich von Adam und Eva abstammen, dann bleiben wir in der Angst vor dem Tod, vor der Vernichtung, die jedes Lebewesen beherrscht. Dann stehen uns eben nur die irdischen Möglichkeiten zur Verfügung, um unseren Tod so lange wie möglich hinauszuzögern, dann bleibt uns auch nichts anderes übrig, als auf Kosten anderer zu leben und zu sündigen.

Nur wenn wir begreifen, dass wir eins mit dem Vater, dem Leben an sich, das vollkommen ist, ewig sich gleich bleibt, sind, können wir selbst vollkommen werden2, denn nur dann gibt es nichts mehr, das uns ängstigen könnte, das wir fürchten müssten! Nur wer dieses Bewusstsein hat, ist neugeboren, nur wer aus ihm lebt!

Was steht also in unserer Macht? – In unserer Macht steht, dass wir heilig werden können. Aber darunter ist auch nicht wieder eine christliche Floskel zu verstehen, sondern ein wirkliches Heilwerden. Wenn Jesus und die Apostel unvollkommene Menschen als Heilige ansprachen, dann deshalb, weil sie darauf aufmerksam machen wollten, dass wir unserem wahren Wesen nach Heilige sind und deshalb auch werden können. Würden wir solche nicht von Grund auf sein, könnten wir es auch niemals werden.

In unserer Macht steht die völlige Selbstherrschaft, die Überwindung aller Triebe und Begierden, ein glückliches Leben ganz gleich, in welchen Umständen wir leben. In unserer Macht steht die Auflösung jeglicher Krankheit, ja sogar die Überwindung des Todes!

Alles beginnt mit dem Glauben, der das rechte Wollen erzeugt und auf dem Weg des Tuns die rechten Einsichten schenkt. Denn was wir zuerst verwirklichen können, ist nicht unbedingt das, was wir uns in den Kopf gesetzt haben oder gern hätten, sondern das, was uns innerlich durch die Struktur unserer Seele, also durch die bereits vorhandenen Prioritäten ermöglicht wird. Alles ist hierarchisch gegliedert! Wir stärken also durch das Festhalten an einem bestimmten Wollen eine bestimmte Richtung und wenn diese stärker als eine diese Richtung durchkreuzende geworden ist, haben wir einen kleinen Sieg errungen.

Wichtig ist es, immer vom Allgemeinen auszugehen. Das Allgemeine eines jeden Menschen ist, dass er ein glückliches Leben haben möchte. Diesem ist sein ganzes Tun gewidmet. Nur suchen eben die Menschen das Glück außerhalb von sich selbst, wo sie es nicht finden können, da eben alles Äußere nicht in unserer Macht steht. Also beginnt man damit, sich darauf zu besinnen, dass man bereits glücklich ist und es allezeit sein kann, weil wir ewige Wesen sind und deshalb keinen Mangel haben.

1„Ich vermag alles durch den, der mich mächtig mach“ (Phil. 4,13).

2„Seid vollkommen!“